2020-01 SZFM

wohnen im alter Ein Buch entdeckt die Weisheit der inneren und äußeren Verortung humor hilft verstehen In Pfullingen wird die Ausstellung „Demensch“ gezeigt hoffnung strahlt warm Nahrung für die Seele in Zeiten von Corona und Distanz 0 2 0 2 / 7 1

4 „demensch“ Demenz trifft auf Humor – passt das? 8 früher war alles … Schulpflicht in Deutschland ist selbstverständlich – dass alle Menschen lesen können, nicht 10 was das wohnen im alter Weisheit der inneren und äußeren Verortung üBer das leBen lehrt „Altweiberwohnen“: Ein Buch entdeckt die 14 unsere stiftungsfamilie Bewegt Trotz Lockdown in Sachen Nächstenliebe unterwegs. Die Stifterfamilie hat viel bewegt das magazin der samariterstiftung präsentiert: im interview Mit Bildung lebt es sich länger als ohne, sagt Dr. Eckart von Hirschhausen ohne Büffeln lernen Junge Banker verpflichten sich zu sozialem Engagement vergangenheit lehrt zukunft Kleidung aus Pflanzenfasern zu fertigen ist altes Wissen im interview Mit Bildung lebt es sich länger als ohne, sagt Dr. Eckart von Hirschhausen Ohne Büffeln lernen Junge Banker verpflichten sich zu sozialem Engagement vergangenheit lehrt Zukunft Kleidung aus Pflanzenfasern zu fertigen ist altes Wissen 0 2 0 2 / 7 1

EDiToriAL Liebe Leserinnen und Leser, Lebenswissen ist das Pendant zum Lernen. In diesem „Corona“-Magazin haben wir Ihnen drei Artikel zusam- mengestellt, welche gut umreißen, was der Stiftung ZEIt füR MENSCHEN so wichtig ist. Gelingendes Leben braucht den Zusammenhalt der Generationen. Damit Zusammenhalt gelingen kann, braucht es die Begeg- nung, das Einander-Wahrnehmen, das Zuhören, die überwindung des fremdseins. Auf der anderen Seite der Lebenslinie betrachten wir die Lebenssituation im Alter, in dem die innere und äußere Verortung im Wohnumfeld wichtig wird (→ S. 10). „Über die Probleme des Alters jammert man nicht, man arrangiert sich“ heißt es da, um anschlie- ßend das treppensteigen nicht als Problem, sondern als turnübung einzuordnen. Man merkt schon, Humor ist ein wichtiger Bestandteil der Lebensweisheit. Damit sind wir bei den verschiedenen Rollen und Auf- gaben quer durch die Generationen. Ohne eine Grund- lage von Bildung werden wir es schwer haben, uns zu verständigen. Das Lebenswissen Erwachsener und vor allem der älteren Generationen hilft, so manche Auf- geregtheit in ein richtiges Maß zu bringen. Die Pfullinger Stiftung fördert u.a. den Kindergarten „Hand in Hand“, damit Kinder mit einer Migrationsge- schichte im Erlernen der deutschen Sprache konse- quent gefördert werden können. Das ist nicht zufällig so. Hartmut Seeger, aus dem Sprecherkreis der Pfullinger Stiftung, war viele Jahre Leiter des Gymnasiums und schildert auf Seite 8 die Entwicklung und Herausfor- derungen unseres Bildungssystems. Das treibt der Karikaturist Peter Gaymann auf die humoristische Spitze und gibt den Kommunikations- problemen in folge der Demenz eine hilfreiche Note (→ S. 4). Beim Schmunzeln bekommt das Miteinander bei allen Schwierigkeiten auch eine gewisse Leichtigkeit. In diesem Sinn: bleiben Sie nicht nur gesund, sondern auch fröhlich! Ihr Reinhard Gradmann Geschäftsführer der Stiftung ZEIt füR MENSCHEN STifTuNg zEiT für MENScHEN MAgAziN · 17/2020

zEiT ScHENKEN „Demensch“ Demenz trifft auf Humor – passt das? 5 I n Pfullingen werden Geburts- tage gefeiert – und die Geschen- ke erhalten Sie! Im Mai wird das Kutscherhaus 25 Jahre und die PfuLLINGER StIftuNG – Zeit für Menschen 10 Jahre alt. Aus diesem Anlass gibt es im Herbst eine Veranstaltungsreihe, die ganz unter dem Motto steht: Demenz und Humor – passt das? Im Samari- terstift am Laiblinspark wird vom 22. September an die Ausstellung „De- mensch“ – Cartoons von Peter Gay- mann gezeigt. Die Zeichnungen, in denen Peter Gaymann mit Witz und Scharfsinn die Situationskomik und Alltagsprobleme von Menschen aufs Korn nimmt, die, in welcher Weise auch immer, vom thema Demenz be- troffen sind, helfen, die gesellschaft- liche Wahrnehmung von Demenz zu entkrampfen. Peter Gaymann schafft es mit seinen Cartoons, ein tabu zu brechen und das oft gemie- dene thema Mensch und Demenz aus der Ecke zu holen – mitten in die Gesellschaft, wo es hingehört. Damit soll eine Kultur gefördert werden, die Demenz annimmt und sie nicht ausgrenzt. Humor stellt dabei eine wichtige Brücke dar. Die Bilder von Peter Gaymann sollen die Betrachter dazu ermutigen, sich mit der beson- deren Situation von Demenzbetrof- fenen auseinanderzusetzen. „Demensch“ heißt diese Bilderschau, bei der 36 Bilder von Peter Gay- mann gezeigt werden. „Das thema Demenz wird oft an den Rand der Gesellschaft gedrängt und das, ob- wohl fast jeder jemanden kennt, der Demenz oder Alzheimer hat“, sagt Christine Klein, Hausleitung des Samariterstiftes am Laiblinspark. Geht ein menschenfreundlicher umgang mit Menschen mit Demenz besser mit Humor? Demenz ist eine Daseins form für viele Menschen. Wir müssen mit Demenz leben ler- nen. Hierin liegt vor allem eine kul- turelle Herausforderung, davon sind der Sozialexperte und Gerontologe Prof. Dr. thomas Klie und der Künst- ler und Cartoonist Peter Gaymann überzeugt. Beendet wird die Ausstellung „De- mensch“ am 20. November mit dem Stück „Ende gut? Wo geht’s bitte raus aus dem Pflegenotstand?“ Das frau- entheater Purpur spielt darin eine Diskussion zum thema. Erzählt wird in zugespitzter form und in fünf Bil- dern, wie ein Tag in einem Pflege- heim in Deutschland aussieht. Da- nach können die Zuschauer/innen selbst in die Szenen eingreifen und spielerisch verschiedenste Lösun- gen für die Schwierigkeiten anbie- ten, in die Gepflegte, Pflegepersonal und Angehörige tagtäglich geraten. Das frauentheater lädt damit dazu ein, die Konflikte durch anderes Verhalten als das Gezeigte neu zu denken und neue Lösungsideen zu erproben. „Wir hoffen, die Perspektiven auf De- menz oder Alzheimer mit der Drei- fach-Veranstaltung zu ‚verrücken‘ “, sagt Christine Klein. Das Problem bestehe meist weniger für die Be- troffenen selbst, als vielmehr für die Menschen in deren umgebung. für die sei es wichtig zu erfahren, wie sie damit umgehen können. „Zum Verrücken von Perspektiven passt auch das frauentheater. Auch sie laden dazu ein, das Leben im Alltag neu zu lernen oder neu zu gestalten“, so Christine Klein. ■ SVV Stiftung zeit für menSchen magazin · 17/2020

zEiT ScHENKEN 7 Buch und kalender ausstellung Die Vernissage der Ausstellung „Demensch“ ist am Dienstag, 22. September um 19.30 uhr im Sa- mariterstift am Laiblinspark. Die Ausstellung wird durch einen Vortrag zum selben Thema „Mit De- menz den Alltag leben“ am Dienstag, 20. oktober um 18.30 uhr ergänzt. finissage ist am freitag, 20. November 19.30 uhr mit dem frauentheater Purpur: „Ende gut? Wo geht’s bitte raus aus dem Pflegenotstand?“ Ausstellungsort: Samariterstift am Laiblinspark, Hohmorgenstraße 15, 72793 Pfullingen, Telefon 07121 . 97340 Das Buch „Demensch. Texte und zeichnungen – für einen menschenfreundlichen umgang mit Demenz“, ist für 24,99 Euro im medhochzwei Verlag erschienen, iSBN 978-3-86216-224-6. zum selben Thema gibt es vom gleichen Verlag zudem den Postkartenkalender „Demensch 2021“, iSBN 978-3-86218-622-0. Auf klare Art und Weise geben Buch und Kalender Auskunft, wie ein menschenfreundlicher umgang mit demenziell veränderten Menschen funktionieren kann. Dabei ist es dem Sozialexperten und gerontologen Prof. Dr. Thomas Klie und dem Künstler und cartoo- nisten Peter gaymann wichtig, Demenz und Humor miteinander zu verknüpfen. Denn sie sind sich sicher: ein liebevoller umgang mit Menschen mit Demenz lebt vom Humor. in der Demenz liegt vor allem eine kulturelle Herausforderung, davon sind beide über- zeugt. Sie haben in ihrem gemeinsamen Buch zahl- reiche Prominente aus Politik und Kultur eingeladen, das Thema in die Mitte der gesellschaft zu rücken. www.medhochzwei-verlag.de www.demensch.gaymann.de Stiftung zeit für menSchen magazin · 17/2020

8 früher war alles … Schulpflicht in Deutschland ist selbstverständlich – dass alle Menschen lesen können, nicht S pätestens seit der „fridays-for-future-Bewegung“ sind sie wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten: die Schulschwänzer oder Schulverweigerer. Im Januar 2020 waren dies an 50 Standorten deutschlandweit etwa 25.000 junge Menschen, die während der regulären Unterrichts- zeit an den Kundgebungen teilnahmen. Doch das ist lediglich die Nadelspitze – tatsächlich verweigern in Deutschland fast 300.000 Heranwachsende den Besuch der Schule. Warum? Dafür blickt das magazin auf die Bildungshistorie und spricht mit Hartmut Seeger, Oberstudienrat im Ruhestand, der in Pfullingen eine Real- schule geleitet hat, und der sich als Sprecher der PfuLLINGER StIftuNG – Zeit für Menschen für die Lebensqualität in den Pfullinger Samariterstiften und in der Stadt engagiert. „Die Jugendlichen und schon die Kinder sind heute ganz anderen Ablenkungen ausge- setzt als wir früher“, weiß Hartmut Seeger. Der 74-jährige Pädagoge hat 40 Jahre lang im Schuldienst gearbeitet und erinnert sich noch „glasklar“ an seine Schulzeit. „In einer bestimmten Phase hatte ich auch anderes zu tun, als täglich in die Schule zu gehen. Es kam dann drauf an, wie verständig die Lehrer wa- ren. Ob es Strafe gab oder ob es einfach hieß, aber nächste Woche kommst du mal wieder.“ Apropos „Strafe“: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es völlig normal, dass Lehrer mit ihrem Züchtigungsinstrument, dem klas- sischen Rohrstock, zuschlagen durften. Daran änderte auch die Einführung des Grundgeset- zes im Jahre 1949 zunächst nichts. Noch 1957 entschied der Bundesgerichtshof beispiels- weise, dass Lehrer ein Gewohnheitsrecht ha- ben, um Schüler zu schlagen. Erst seit dem

zEiT für MENScHEN Jahr 1972 ist es einheitlich verboten, Kinder in der Schule zu schlagen. tatsächlich dauerte es jedoch noch einige Jahre bis dies in jeder Dorfschule und bei jedem altgedienten Lehrer angekommen war, sodass Schüler auch in den 1970er Jahren noch mit Gewalt in der Schule rechnen mussten. „Ich bin mit sieben Jahren in die Volksschule in Pfullingen gekommen“, erzählt Seeger, „ich erinnere mich noch gut, dass es tatzen gab, wenn wir falsch geschrie- ben haben.“ Auch auf den Hintern setzte es Schläge. „Allerdings mein fräulein Schuler hat sowas nicht gemacht. Das war eine friedliche“, sagt Seeger. Bildung ist der Schlüssel. Das muss nicht immer gradlinig erfolgen Die Alphabetisierung als der zentrale Indikator für die Durchset- zung von Bildung erfolgte in Preußen im Laufe des 19. Jahrhun- derts. Doch noch 2014 waren in Deutschland nach einer Studie der universität Hamburg etwa zwei Millionen Erwachsene totale sowie mehr als 7,5 Millionen Menschen funktionale Analphabeten. „Ich sehe das mit Sorge“, sagt Seeger und stellt klar: „Bildung ist der Schlüssel. Das muss nicht immer gradlinig erfolgen. Ich habe auch erst später das Abitur gemacht und dann Mathematik studiert. Aber mir ist mit dem Abschluss eine ganz andere Welt aufgegangen.“ Er kennt die modernen Pädagogik-Konzepte, die im Vergleich zu früher auf Individualisierung des unterrichts setzen. Aber er meint: „Es braucht eine gewisse Strenge.“ Der Bildungs- historiker Heinz-Elmar tenorth kennt sogar das Phänomen, dass Schüler nicht gern in die Schule gehen, weil sie sie langweilig finden. Die Tut-was-ihr-wollt-Pädagogik führe dazu, dass Schule sich selbst um den Anspruch bringt, den sie hat. „Ich fand immer, dass es nötig ist, dass sich Lehrkräfte für etwas begeistern und diese Begeisterung vermitteln können. Das zählt viel mehr als der bloße Stoff“, so der ehemalige Schulleiter Seeger. 9 um die Bildung breiter Bevölkerungsschichten ging es schon dem Soldatenkönig friedrich Wilhelm I. Er war es, der in Preußen 1717 mit dem friedrich’schen Dekret eine Art unter- richtspflicht erlassen hat. Er befand damals: „Wir vernehmen missfällig, dass die Eltern ab- sonderlich auf dem Lande in Schickung ihrer Kinder zur Schule sich sehr säumig erzeigen und dadurch die arme Jugend in große unwis- senheit, sowohl was das Lesen, Schreiben und Rechnen betrifft, als auch in denen zu ihrem Heil und Seligkeit dienenden höchstnotwen- digen Stücken aufwachsen lassen.“ Ja, und weil das so war, verpflichtete Friedrich die Eltern, ihre Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren zur Schule zu schicken, wenn sie nicht zu Hause von Eltern oder Privatlehrern un- terrichtet wurden. Seit dem 15. und 16. Jahrhundert begann schon die Alphabetisierung der Bevölkerung. Beam- te konnten natürlich lesen und schreiben. Die unterschichten blieben meist analphabetisch. SamariterStiftung magazin · 17/2020 für diese „Begeisterung“ hat auch Bildungshistoriker tenorth ein gutes Beispiel: An einer Berliner Hauptschule wurden Schüler der achten und neunten Klassen, die nicht in die Schule wollten, dadurch fasziniert und zum Schulbesuch gebracht, dass sie ge- meinsam ein Auto gebaut haben. Sie stellten dabei fest, dass man schreiben, lesen, rechnen können muss, um das Auto anständig zu bauen. Sie sind jeden Tag gekommen. Schule, so Tenorths Plädoyer dürfe nicht länger nur eine Institution sein, in der man zur gleichen Zeit am gleichen Ort ganz unterschiedliche Kinder in den gleichen themen in der gleichen Zeit mit den gleichen Lehrern zu den gleichen Ergebnissen führen wolle. Lernen der Neuzeit brauche neue Konzepte. ■ SVV

ZEiT NEHMEN 11 dort hat sie immer gesessen und noch immer ist alles an seinem Platz: Die Lieblingstasse, die Leselupe, Stift und Papier. Am liebsten hat meine Mut- ter Rei se dokumentationen im fernsehen geschaut, alle Orte notiert und dann im Atlas nachgeschlagen: „Heute war ich schon in Irland, tansania und Grönland“, be- gannen oft unsere Gespräche. Jetzt ist sie tot und ich muss die Wohnung auflösen, in der sie mehr als 60 Jahre ihres Lebens verbracht hat. Ein schwieriges unterfan- gen, aber auch schön und lehrreich. Der Künstler friedensreich Hundertwasser sprach vom Wohnen als der dritten Haut, nach der menschlichen Haut und der Kleidung: Das Lebensumfeld solle der menschlichen Natur entsprechen und den Menschen umschließen, ohne ihn einzuengen. Wie muss es also sein, wenn man so lange an einem Ort gelebt hat, dass man quasi zu einer Einheit mit ihm verschmolzen ist? Autorin, Architektin und Städteplanerin ulrike Scherzer und fotografin Juliana Socher sind der frage nachge- gangen und haben dazu 19 Seniorinnen – fast alle um die 90 Jahre alt – befragt und das wunderbare Buch Altweiberwohnen – Gespräche und Fotografien über das Wohnen im Alter veröffentlicht. Jedes der Kapitel trägt nun nicht nur ein ganzes Leben, sondern auch ein ganzes Weltbild in sich. Ein Haus ist beispielsweise voller Heiligenbildnisse: „Man kann gar nicht genug Heilige um sich haben“, weiß Rahel A., 95 Jahre. Weit gereist ist sie und hat ihre Heimat dann doch in der hessischen Provinz gefunden. Bei der anderen ist alles voller Erinnerungsstücke: „Aber so ist das eben, wenn Sie mit dem Sammeln anfangen und dann fast hundert Jahre alt werden“, konstatiert Marie-Louise M., 91 Jahre. da ist die erdnuss-dOse, in der meine Mut- ter immer ihr Haushaltsgeld aufbewahrt hat, dort das Souvenir von der Reise nach Karlsbad. In dieser Hand- tasche hier hat meine Mutter die Schokoladentafeln gehabt, die wir damals beim Verwandtenbesuch in die DDR geschmuggelt haben. Wir sind dann beide losge- gangen und haben die Westschoko an andere Kinder verschenkt. Einfach so: „Weil es richtig ist und wenn etwas richtig ist, dann muss man es auch machen“. STifTuNg zEiT für MENScHEN MAgAziN · 17/2020 Die liebenswerten alten Damen, die hier Einblick in ihr Zuhause gewähren, sind die Heldinnen des Buchs: Sie haben vieles überstanden und haben es – trotzdem oder gerade deshalb – faustdick hinter den Ohren. trude B. (89) berichtet, dass sie nach ihrem Schlaganfall zu Hause bleiben konnte, weil ihre tochter in der Nähe wohnt und Ärztin ist. Zur Sicherheit wurde sie mittels Babyphone überwacht: „Aber ich habe nachts auch mal gerne laut Musik gehört und dann haben wir es wieder abgebaut“. der pflegedienst, der meine Mutter zuletzt mitversorgte, hat sie vermutlich „nur“ als hilfsbedürfti- ge Seniorin wahrgenommen. Ich aber kannte sie als die frau, die sich nie einschüchtern ließ. Einmal, ich war gerade volljährig geworden, kamen wir zufällig neben einem Skinhead zu sitzen: Meine Mutter betrachtete Hakenkreuz und Glatze und sprach ihn scheinbar arglos an: „Sie sind wohl Christ, wenn Sie ein Kreuz tragen. Schön, wenn die jungen Leute heute an etwas glauben. und die rasierten Haare – sind sie gar ein Mönch?“ Der Skinhead war erst verwirrt, dann sprachlos und ergriff sehr schnell die flucht. Ich war beeindruckt – Lektion gelernt. Voller Mutterwitz und Lebensfreude sind die Wohnwel- ten in Altweiberwohnen; über die Probleme des Alters jammert man nicht, man arrangiert sich. Mal helfen Kinder und Enkel, mal die nette Nachbarin. Überhaupt – auch das lernt man von den alten frauen – ist alles eine frage der Betrachtungsweise: Lieber aufrecht mit dem Rollator laufen, als krumm und ohne ihn. Margaret R. (95) begreift die Treppe in ihrem Haus deshalb auch nicht als Hindernis, sondern „als wichtiges turngerät“. „Die treppen halten mich frisch, also ... so frisch wie möglich“ findet sie. Die Idee zu ihrem Buchprojekt sei ihr durch die Arbeit mit den Studenten gekommen, erklärt ulrike Scherzer, Honorarprofessorin an der Stuttgarter universität. Das thema Wohnen im Alter greift sie immer wieder auf. Bis vor kurzem habe es auch den Studiengang „Integrierte Gerontologie“ gegeben, der aber sehr wenig nachge- fragt worden sei. „Leider!“. Sie selbst zieht ihre eigenen Schlüsse aus den Recherchen: „Ich bin jetzt Ende 50, da überlegt man schon, bleibt man, wo man ist, oder verändert man sich noch mal komplett.“

Meine Mutter hat in ihrem Leben viele Rei- sen unternommen, aber fast noch lieber war sie daheim: „Da habe ich nur die Sachen im Kühlschrank, die ich auch wirklich mag“, sagte sie oft. Dass ich jetzt ihre Sachen aussortieren muss, schmerzt überraschender- weise weniger als gedacht. Weil ich weiß, dass sie fast bis zuletzt alles aus ihrem Leben herausgeholt hat und dabei immer neugierig blieb. Im Buch stellt die 91-jährige Marie-Louise M. fest: „Übrig bleiben ist auch schön. Ich habe viel Beschäftigung. Ich sag immer: Ich brauch noch zehn Jahre.“ und das ist, was man aus dem Buch mitnimmt: Die Erkenntnis, dass vor dem Alter ein bewegtes Leben steht, das mit dem Alter nicht einfach so endet. ■ SMB 13 „altweiberwohnen – gespräche und fotografien über das wohnen im alter“ von Ulrike Scherzer und Juliana Socher ist im residenz Verlag erschienen. (iSBN 978-3-7017-3393-4) Weitere informationen zum Buch gibt es auf www.ulrike-scherzer.de ZEiT NEHMEN VOn Meiner Mutter habe ich gelernt: Man wäscht das Auto grundsätzlich bei Regen. und: Wenn man nicht bereit ist, ein Kleidungsstück zu reparieren, dann verdient man es auch nicht. Ihr ganzer Stolz war ihr Garten, allerdings nicht ohne gesunden Pragmatismus, sie war schließlich ein ty- pisches Kriegskind: „Wenn die schlechte Zeit wie- derkommt, könnt ihr auch alles rausreißen und Kartoffeln pflanzen.“ Altweiberwohnen hätte im März unter anderem bei der Stiftung ZEIt füR MENSCHEN im Quartiershaus in Stuttgart-feuerbach vorgestellt werden sollen. Die Co- rona-Pandemie macht dem vorerst einen Strich durch die Rechnung, auch wenn die Veranstaltung nachgeholt werden soll. (Die Nachhol-termine für das feuerbacher „Altweiberlesen“ werden auf www.ulrike-scherzer.de eingestellt.) Allerdings verleiht der weltweite Stillstand dem Buch plötzlich eine neue tiefe, seit der Aktionsra- dius mit einem Mal für jedes Alter auf die eigenen vier Wände begrenzt ist. Scherzer reagiert auf Nachfrage verblüfft: „Von dieser Seite habe ich das noch gar nicht betrachtet.“ War es eigentlich schwer, so ins pirierende und beherzte Damen zu finden? Es seien einige Verwandte darunter, erzählt Scherzer und dann habe man den Kreis über Empfehlungen ausgeweitet. Als Eisbrecher beim Ken- nenlernen hätte in der Regel ein Plausch bei Kaffee und Kuchen fungiert: „Wir mussten unmengen Kaffee trin- ken!“ erinnert sie sich. Als das Buch nach rund zwei- jähriger Vorarbeit erschien, waren ein paar der Frauen bereits verstorben, aber bei aller trauer und Wehmut sei das Buch nun auch eine schöne Erinnerung für die Hinterbliebenen. STifTUNg ZEiT für MENScHEN MagaZiN · 17/2020

unsere Stiftungsfamilie bewegt 14 zeit für Menschen mit neuem gesicht im netz Präsent sein – Gesicht zeigen: der Internet- auftritt der Stiftung ZEIt füR MENSCHEN zeigt sich frisch und aufgeräumt. und er trägt der Entwicklung Rechnung, dass das Leben in der Nachbarschaft der Samariter- stifte mehr und mehr in den Mittelpunkt rückt. Neben den tochterstiftungen hat nun auch die Arbeit der verschiedenen Initiativ- gruppen in den Quartieren ihren Platz ge- funden. So lassen sich nun immer termine, Gruppen und Aktionen tagesaktuell abrufen. Bei den tochterstiftungen lässt sich nun gut sehen, welche Projekte unterstützt werden und welche Pflänzchen daraus wachsen. Schauen Sie vorbei: www.zeit-fuer-menschen.de die stiftung will es wissen ZEIt füR MENSCHEN ist gerade 16 Jahre alt ge- worden und hat mittlerweile acht tochterstiftungen. Vieles hat sich in dieser Zeit verändert. In diesem Jahr wird die Arbeit stark gebremst durch die Pandemie. Eine gute Gelegenheit, kurz inne zu halten. Wie wird sich die Stiftung in den nächsten Jahren entwickeln? Was ist den Stifter/innen heute wichtig? So startet eine Aktion, bei der alle gut 350 Stifter/ innen in den nächsten Monaten angerufen und befragt werden. Der Stiftungsrat ist sehr gespannt, ob die Stiftung in den Augen ihrer Gründer auf dem richtigen Weg ist. Im September wird es eine erste Auswertung geben. statt Blumen – Beethovens neunte im Oktober Das Bosch-Sinfonie-Orchester schenkt allen Stifter/ innen und Spender/innen am 4. Oktober in der Stadt- halle von Nürtingen die Neunte Sinfonie von Beet- hoven. Zuvor wird zum jährlichen Treffen der Stifter, dem Stifterforum eingeladen. Hoffen wir, dass bis dahin Veranstaltungen wieder möglich sein werden. Alle Informationen finden sich ab September im Internetauftritt. eine Bitte außerhalb der reihe – helfen sie Seit Ausbruch der Krise haben sich die Prioritäten verschoben. Das können wir auch sehr gut auf den Konten der Stiftungen sehen. Die Spenden sind stark zurückgegangen. um die besonderen Aktionen für die Pandemiezeit und vor allem die zugesagten, laufen- den Projekte in den Häusern zu finanzieren, braucht es unterstützung – Ihre unterstützung. Lassen Sie die Stiftungen nicht aus Ihren Augen. Danke!

ZEiT für MENScHEN 15 erstmal alles ausgebremst – und dennoch: die stiftung lebt! Der Kirchberger Dialog und die sehr intensiven Werkstattgespräche zum thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“ konnten noch stattfinden. Und vielen teilnehmern war klar: wenn wir das Grundein- kommen schon hätten, wäre vieles in der aktuellen Situation einfacher. Doch dann war Schluss, all die schönen geplanten Treffen können nicht stattfinden. White Dinner in Münsingen, Pfullingen und Leonberg, Jahresveran- staltungen der Tochterstiftungen und ja, auch das forum Zivilgesellschaft in Stuttgart hat zum ersten Mal nach 16 Jahren nicht stattgefunden. In der Krise zeigt sich die Stärke: zahllose engagierte Ehrenamtliche haben sich vor den fenstern und Bal- konen eingefunden. Eine fülle von Ideen ist entstan- den: Konzerte im Innenhof, theatervorführungen im Garten, Grüße an den fensterscheiben, gebackene Dankes-Kekse und vieles mehr. Die Stiftung konnte dabei praktisch helfen. Einigen Künstlern und theatern konnte so ein Engagement ermöglicht werden. Ein doppelter Gewinn: für die Bewohner/innen an fenstern und Balkonen und für die Künstler/innen, die wir ja auch nach der Pande- mie in unseren Häusern brauchen. www.zeit-fuer-menschen.de ■ rED STifTUNg ZEiT für MENScHEN MagaZiN · 17/2020

iMpressuM Herausgeber: samariterstiftung Schlossweg 1 | 72622 Nürtingen Telefon 07022 / 505-200 www.samariterstiftung.de www.zeitfuermenschen.de V.i.S.d.P: frank Wößner redaktion: Sabine von Varendorff (svv) E-Mail: sabine.vonvarendorff@ samariterstiftung.de Weitere autor/innen: georg friedel (gf), reinhard gradmann (rg) und Susanne Müller-Baji (smb) Telefon redaktion: 07022 / 505-204 Design und realisierung: enorm.design Druck und Verabeitung: Senner Medien Erscheinungsweise: 2 x jährlich artikel im magazin geben nicht immer die Meinung der redaktion wieder. für unverlangt eingesandte artikel, fotos u. ä. wird keine Haftung übernommen. rechte Die im magazin veröffentlichten Beiträge, fotos, grafiken u. Ä. sind urheberrecht- lich geschützt. Die reproduktion, ganz oder in Teilen, durch Nachdruck, foto- technische Vervielfältigung oder durch andere Verfahren sowie das Einspeisen in elektronische Systeme bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung der redaktion. Bildnachweise magazin SaMariTErSTifTUNg: archiv Samariterstiftung (13, 24, 25/1,3, 26, 27), Enorm/Sabine Schweckhorst (16), garage company Studio (15), iStock.com/demachi (Titel), iStock. com/Zhang Shu (U2), gesine Jost (21), Landtag Baden-Württemberg (25/2), Mattes und amann (18), Samariter- stiftung (8), shutterstock.com/ waldenstroem (16), von Varendorff (12, 23, 27/4), camillo Wiz (6). magazin STifTUNg ZEiT für MENScHEN: archiv Samariterstiftung (15), medhochzwei Verlag/Peter gaymann (4, 6, 7), residenz Verlag (13), Schulmu- seum Leonberg (8, 9), Juliana Socher (Titel, 10, 12), von Varendorff (15) integ gmbh übernimmt Elektroprüfungen nach DgUV Die Prüfung elektrischer Anlagen und Geräte, wie Schaltschränke, Kopierer, Lampen, Drucker, Pflege betten, also alles was mit elek trischer Netzspan- nung betrieben wird, ist für jedes Un- ternehmen Pflicht. Die Sicherheit der elektrischen Betriebsmittel und Anla- gen gilt es zu gewährleisten. unfälle sollen damit reduziert und die Sicher- heit der Personen erhöht werden. Die INtEG GmbH, ein tochter unter - nehmen der Samariterstiftung, mit Sitz in Aalen, beschäftigt rund 40 Menschen mit und ohne Behinderung zu tariflich vereinbartem Lohn. Seit über 20 Jahren arbeiten die Mitarbei- tenden der INtEG GmbH erfolgreich in verschie denen Betrieben von Me- tallbearbeitung, Handwerkerservice und Gastronomie bis hin zu Elektro- prüfungen auf dem Markt. Elektrofachkräfte prüfen bei Kunden vor Ort, darunter firmen aus ver- schiedenen Gewerken und öf fent liche Einrichtungen, gemäß der geforder- ten DGUV Vorschrift 3 (und den Vor- schriften BetrSichV, TRBS und VDE) die unterschiedlich sten elektrischen Betriebsmittel: • ortsfeste und ortsveränderliche Elektrogeräte und Maschinen • ortsfeste elektrische Anlagen, Haupt- und Unterverteiler • Medizinprodukte, wie Pflege- betten und Pflegelifter Bei der Prüfung werden geeichte Mess- und Prüfgeräte, die den höchs- ten Qualitäts- und technikstandards entsprechen verwendet. Anhand der entsprechenden Dokumentation, wie Prüfprotokollen, wird die gesetzliche Einhaltung der Vorschrift belegt. Die INtEG GmbH ist als gemein- nützig anerkannt und nach DIN EN ISO 9001:2015 zerti fiziert. integ gmbh Christian Fischer Jahnstr. 14 73431 Aalen t 07361 . 564 314 M 0151 . 44 645 875 e christian.fischer@integrationsfirma.com www.integrationsfirma.com

spenden sie einfach wie sie wollen! Sie können Ihren Beitrag entweder herkömmlich per SEPA-Zahlschein an uns überweisen (das formular erhalten Sie bei Ihrer Bank). Oder nutzen Sie unser Online-fomular: samariterstiftung.de/spende spendenkonten Samariterstiftung iBan DE50 6005 0101 0001 1008 82 Bic SOLADEST600 BW Bank Stiftung ZEIt füR MENSCHEN iBan DE67 6005 0101 0008 6692 92 Bic SOLADEST600 BW Bank fragen und anregungen Wenden Sie sich bitte an Andreas Schlegel, Spendenmarketing e-Mail andreas.schlegel@ samariterstiftung.de telefOn 07022/505-268 17 ihre spende hilft – schnell und direkt Die Mitarbeiter/innen der Samariterstiftung begleiten und betreuen Menschen im Alter, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit psychischen Erkrankungen in mehr als 60 Häusern. Die Stiftung ZEIt füR MENSCHEN fördert bürgerschaftliches Engagement und stärkt die Zivilgesellschaft in einem Bündnis für Gemeinwohl und Menschenwürde. unterstützen Sie unsere Arbeit im sozialen und gesellschaftlichen Bereich durch Ihre einmalige oder dauerhafte Spende für eine unserer beiden Stiftungen. sie können sicher sein: ihre spende wird zu 100 % für die jeweiligen projekte oder häuser, die sie unter- stützen möchten, eingesetzt. die kosten für die Verwaltung ihrer spende decken wir aus eigenmitteln. Ihre Spende zugunsten der samariterstiftung unterstützt eines unserer Häuser. Bitte tragen Sie daher den Namen des betreffenden Hauses unter dem Verwendungszweck auf dem Zahlschein ein. Ihre Spende zugunsten der stiftung zeit für Menschen unterstützt die Begegnung zwischen Jung und Alt, die Begegnung von Menschen mit/ohne Behinderung und gemeinsame Projekte im Quartier. Wollen Sie eine tochterstiftung bedenken, tragen Sie bitte deren Namen unter dem Verwendungszweck auf dem Zahlschein ein. für dauerhafte spenden richten Sie bitte einfach einen Dauerauftrag bei Ihrer Bank mit Ihrem regel- mäßigen Spendenbetrag ein. Selbstverständlich erhalten Sie eine spenden- quittung. Geben Sie daher auf dem Zahlschein bitte auch Ihre Adresse an, damit wir Ihnen Ihre Zuwendungsbestätigung zusenden können. Vielen dank für ihre unterstützung! STifTUNg ZEiT für MENScHEN MagaZiN · 17/2020