2021-01 SZFM

4 FÜR DIE WÜRDE EINSTEHEN Sprecher:innen der Tochterstiftungen von ZEIT FÜR MENSCHEN nehmen Stellung 8 DER NÄCHSTE KANN DER KLEINSTE SEIN Die Ausstellung „Die Kunst der Nächstenliebe“ thematisiert mit ihrer Begleitveranstaltung Bildungschancen und Inklusion als Ausdruck von gelebter Zuwendung 10 UNSERE STIFTUNGSFAMILIE BEWEGT Nach zehn Jahren: Wechsel an der ZfMSpitze DAS MAGAZIN DER SAMARITERSTIFTUNG PRÄSENTIERT: Wie gelingt Würde? Pater Anselm Grün und Neuro biologe Gerald Hüther antworten Wie geht Hilfe? Seemannsdiakon Fiete Sturm kümmert sich um gestrandete Seeleute Wie lasse ich los? Max G. Bailly ist vom eigenen Haus ins betreute Wohnen gezogen WIE GELINGT WÜRDE? Pater Anselm Grün und Neurobiologe Gerald Hüther antworten WIE GEHT HILFE? Seemannsdiakon Fiete Sturm kümmert sich um gestrandete Seeleute WIE LASSE ICH LOS? Max G. Bailly ist vom eigenen Haus ins Betreute Wohnen gezogen 1 2 0 2 / 9 1 Leben Leben UND UND Wohnen Wohnen

EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, wie haben wir gehofft, in der ersten Jahreshälfte wieder, dem Stiftungszweck entsprechend, viele Begegnungen in den Häusern und Einrichtungen zu ermöglichen und interessante Veranstaltungen anbieten zu kön- nen! Nun haben wir schon Sommer – und alle bereits geplanten Projekte sind auf Herbst verschoben. Freuen Sie sich also auf den Herbst – die aktuellen Termine finden Sie nach den Sommerferien auf der Homepage www.zeit-fuer-menschen.de. Das Thema des Magazins „Leben und Wohnen“ spricht im Kern die Würde des Menschen an. Und die Wür- de vieler Menschen wurde während der Pandemie an vielen Stellen, ob notwendig oder nicht, öfter verletzt. An die Menschen in der Behindertenhilfe und der So- zialpsychiatrie wurde zuletzt gedacht. Kinder wurden als erste ausgesperrt und als letzte wieder eingelas- sen. Noch wissen wir nicht, welche Auswirkungen die Pandemie auf unser gemeinschaftliches Leben haben wird. Sicher werden die Stiftungen vor Ort sensibel hineinschauen was Not tut. In Pfullingen werden Schü- ler:innen unterstützt, die besonders gelitten haben, um ihnen wieder zu einem guten Anschluss zu verhelfen. In der Ausstellung Die Kunst der Nächstenliebe vertiefen wir dieses Thema. Wie kann eine Schule gestaltet sein, die von den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Kindes ausgeht und nicht das Kind in einen Lehrplan presst? (→ S. 8) Inklusion wird dann möglich und viel einfacher, als man denkt. Was verstehen die Stiftungen unter Würde, was sind die entscheidenden Gedanken? Viele der Sprecherinnen und Sprecher der acht Tochterstiftungen haben sich dazu geäußert (→ S. 4). Eine inspirierende Zusammen- schau! Die Stiftung entwickelt sich weiter. In Münsingen wird ein Hospiz gebaut, die Münsinger Alb Stiftung nimmt sich dieser neuen Herausforderung an, der Sprecher- kreis wird erweitert. In Pfullingen hat der Generatio- nenwechsel stattgefunden (→ S. 10) Einen Generationenwechsel gibt es auch in der Geschäftsführung. Dies wird mein letztes Editorial sein, zum Sommer lege ich die Geschäftsführung in die Hände von Andreas Schlegel, seit vielen Jahren in der Stiftung „der Mann fürs Quartier“. So geht die Ge- schichte der Stiftung nach der Gründung durch meinen Vorgänger Otto Haug und nach 10 Jahren Geschäfts- führung durch mich gut fokussiert weiter. Ehrenamt und Engagement hat sich verändert – so wird sich auch die Stiftung verändern. Bleiben Sie engagiert und der Stiftung ZEIT FÜR MENSCHEN gewogen! Vänliga hälsningar! – wie man in Schweden sagt. Mit herzlichen Grüßen Reinhard Gradmann Geschäftsführer der Stiftung ZEIT FÜR MENSCHEN STIFTUNG ZEIT FÜR MENSCHEN MAGAZIN · 19/2021

FÜR DIE WÜRDE EINSTEHEN Sprecher:innen der Tochterstiftungen von ZEIT FÜR MENSCHEN nehmen Stellung In Zeiten der Pandemie hat sich das Leben vieler Menschen dramatisch verändert. Existenzen waren und sind bedroht. Was bedeutet es für die Würde eines Menschen, wenn er seine Wohnung, seine Arbeit oder seine sozialen Kontakte verliert? Die Sprecher:innen der Tochterstiftungen der Stiftung ZEIT FÜR MENSCHEN haben sich darüber Gedanken gemacht. Ihr Fazit: mehr denn je ist es Aufgabe der einzelnen Stiftungen mit ihren jeweiligen charakteristischen Schwerpunkten, für die Unantastbarkeit der Würde des Menschen einzustehen. Immer dort, wo jemand Hilfe braucht, damit er seine persönliche Würde nicht verliert, sind die Tochterstiftungen mit ihren Angeboten zur Stelle. Lesen Sie jetzt, was Zeit für Menschen ausmacht: 4 Die Berücksichtigung/Beachtung der menschlichen Würde ist beim Thema „Leben und Wohnen“ keine Fra- ge des Alters, der Herkunft, der Hautfarbe oder des Geschlechts eines Menschen, sondern eine Frage der grundsätzlichen Wertschätzung des Menschen unter größtmöglicher Berücksichtigung seiner individuellen sozialen Bedürfnisse. Das menschliche Leben braucht in jeder Lebensphase seinen geeigneten Wohnraum – und in jedem Wohnraum muss Leben in jeder Lebensphase möglich sein. Die in letzter Zeit zunehmend stattfinden- de, sehr verdichtete Bauweise hat neben lebensphasen- orientierten Ausstattungsmerkmalen (z. B. Barrierefrei- heit) auch soziale Komponenten zu berücksichtigen, die neben nachbarschaftlichen (bürgerschaftlichen) Kon- takten, Hilfen und Unterstützung auch Basisangebote vernetzter Sozialarbeit gewährleisten. Dies wirkt einer zunehmenden sozialen Isolation und Vereinsamung – besonders im Alter – wirkungsvoll entgegen. Daher sehe ich an dieser Stelle einen (ge)wichtigen Ansatzpunkt für die Arbeit der Tochterstiftungen vor Ort. Christoph Rohlik „Das menschliche Leben braucht in jeder Lebensphase seinen geeigneten Wohnraum“ Ein würdiges Leben, darauf hat jeder ein Recht und einen Anspruch. Würde zeigt sich durch Respekt für andere, zeigt sich in der Teilhabe am sozialen Leben und der Gemeinschaft. „Arbeit gibt Würde und Selbstwertgefühl, das Miteinander stärkt das Selbstvertrauen“ Mit unserem 2018 gestarteten Projekt IVO haben wir für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen aus der Werkstatt am Neckar betriebsintegrierte Arbeitsplätze bei IST geschaffen. An diesen Arbeitsplätzen arbeiten sie zusammen mit den Beschäftigten der IST, sie sind Teil der Arbeitsprozesse, sie werden angenommen als „normale“ Mitarbeitende. Arbeit gibt Würde und Selbst- wertgefühl, das Miteinander stärkt das Selbstvertrauen und alles zusammen trägt zu einem lebenswürdigen Leben bei. Dazu wollen wir auch weiterhin mit unserer Patenschaft für die Werkstatt am Neckar beitragen. Silvia Zuckrigl

ZEIT NEHMEN „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, bewahret sie!“ Dieser Satz des Dichterfürsten Friedrich Schiller lässt sich gut als Aufforderung an uns Menschen verstehen, die Würde, die allen Menschen zusteht, zu achten und zu schützen. Aus ihrem Selbstverständnis heraus sieht die LEON- BERGER STIFTUNG – Zeit für Menschen, ihren Auftrag darin, sich für die Menschenwürde und das Gemeinwohl im Lebensalltag der Menschen in den Einrichtungen der Samariterstiftung und den benachbarten Quar- tieren zu engagieren. Wir wollen damit ein Mehr an Lebensqualität schaffen, ein Mehr an Zuwendung für Menschen mit Unterstützungsbedarf, ein Mehr an Zeit zum Zuhören, für die Begegnung von Jung und Alt, ein Mehr an Teilhabe vor Ort. „Weil jeder einzelne Mensch wertvoll ist“ Wir fördern nicht nur zusätzliche Anschaffungen, die den Lebensalltag erleichtern oder bereichern. Wir sorgen auch jedes Jahr – sofern es die Pandemie er- laubt – mit Veranstaltungen, Festen oder Ausflügen für ein Mehr an Lachen, Träumen, Singen und Tanzen. Die Würde der Menschen in den Einrichtungen ist uns in die Hand gegeben und wir sorgen gemeinsam mit den Teams der Häuser für ein lebenswertes, buntes und solidarisches Miteinander. Wir schauen hin, wie die Situation ist, wir erkennen was zu tun ist und nehmen das Notwendige in die Hand, weil jeder einzelne Mensch wertvoll ist und seine Würde bewahrt werden muss. Quartiersarbeit unterstützen, Nachbarschaften för- dern und ein Plus an Unterstützung ermöglichen – das spornt uns an. Inge Horn STIFTUNG ZEIT FÜR MENSCHEN MAGAZIN · 19/2021 „Würde des Menschen – nichts mehr davon, ich bitt Euch! Zu essen gebt ihm, zu wohnen. Habt Ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst.“ So Friedrich von Schiller in einem Epigramm 1796. Den Satz habe ich mir in meinem persönlichen „Merk- heft“ aufgeschrieben. Und daneben Artikel 1 unseres Grundgesetztes: „Die Würde des Menschen ist unan- tastbar“. Was so einfach klingt, ist doch so schwer und auch im großen politischen Rahmen in Deutschland nicht erfüllt. Denn das bedeutet auch: kein Rassismus, kein Sexismus, keine Diskriminierung wegen was auch immer. Und in der täglichen Arbeit in der Stiftung heißt das: Schiller und das Grundgesetzt sind wie ein Spiegel, in den man schauen kann, um mit kritischem Blick seine Entscheidungen zu überprüfen. Denn jeder entscheidet immer auch nach seinen Vorurteilen. Deshalb muss je- der Mensch in unserer Stiftung eine Chance bekommen und die Möglichkeit haben, überall teilhaben zu kön- nen. Kürzer als so, wie es Schiller sagt, lässt sich nicht erklären, was die Würde eines Menschen stabilisiert: Das Leibliche, Kleidung und ein Dach über dem Kopf! Jürgen Kaiser 5 „Kürzer als so, wie es Schiller sagt, lässt sich nicht erklären, was die Würde eines Menschen stabilisiert: Das Leibliche, Kleidung und ein Dach über dem Kopf!“

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Als erstem Satz unseres Grundgesetzes kommt ihm eine große politische wie gesellschaftliche Bedeutung zu. Alltäg- lich erfahrbare Realität ist aber, dass die Würde des Menschen sehr wohl antastbar ist und oft einhergeht mit verschiedensten Arten von Diskriminierung oder Ausgrenzung, die eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschweren oder gar verhindern. Dem entgegen- zuwirken ist ein Anliegen der MÜNSINGER ALB STIF- TUNG – Zeit für Menschen. Sie hat Projekte unterstützt wie z. B. eine Kooperation mit der Ev. Kirchengemeinde Münsingen, in der Menschen mit Beeinträchtigungen erfahren, wie sie mit dem, was sie einbringen können, wertgeschätzt und wichtig sind für das gemeindliche Leben. Oder wie ein musikgeragogisches Projekt für alte Menschen oder ein Trommelworkshop für behinderte Menschen. Musik erreicht unsere Seele in ganz anderer Weise als es Worte können, bringt sie ins Schwingen, lässt sie wie auf Flügeln getragen sein und bedeutet einen großen Zuwachs an Lebensqualität. 6 „Würde soll kein Konjunktiv sein, sondern gelebt werden.“ Im vergangenen Jahr wurde zum ersten Mal der mit 1.000 € dotierte Gemeinwohlpreis „Mensch, danke!“ für das beste Projekt zur Förderung des Zusammenle- bens in Münsingen ausgelobt. Ausgezeichnet wurde die Ökumenische Sitzwachengruppe, die Schwerstkran- ke zuhause begleitet und auch Angehörige entlastet. Menschen angesichts des nahenden Todes nicht allein zu lassen, sondern sie Zuwendung und Nähe spüren zu lassen, ist Begleitung bei einem Sterben in Würde. Des- halb unterstützt die Alb Stiftung auch den in Münsin- gen geplanten Bau eines Hospizes. In der Coronazeit ist die zweite Ausschreibung des Gemeinwohlpreises ins Stocken geraten. Sie soll aber weitergeführt werden, um das Engagement für ein gelingendes Zusammenleben im Quartier anerkennend ans Licht zu bringen. Zu einem würdigen Umgang von Menschen mit und ohne Behinderungen in Wertschätzung und Respekt soll auch die für Juni/Juli geplante Ausstellung Die Kunst der Nächstenliebe beitragen. Für die MÜNSINGER ALB STIFTUNG – Zeit für Men- schen soll Würde kein Konjunktiv sein, sondern gelebt werden. Michael Scheiberg Würde ist ein Achtung gebietender Wert, der einem Menschen innewohnt. Um diese Definition richtig fül len zu können, benötigen Jugendliche Lernräume, um sozi- ale Kompetenz zu lernen und zu üben. Der Kontakt zu Menschen im Alter, Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen schafft ein Verständnis für unterschiedliche Lebenswirklichkeiten. Die Er fahrung der Selbstwirksamkeit und Verantwortung fördert die Bildung der Persönlichkeit als Grundlage für ein gesell- schaftlich und ökonomisch verantwortliches Leben. Im Ergebnis ist Würde die Fähigkeit, mit sich selbst und anderen würdig umzugehen. Markus Krichenbauer „Im Ergebnis ist Würde die Fähigkeit, mit sich selbst und anderen würdig umzugehen“

ZEIT NEHMEN Würde – ein Wort pathetisch gebraucht, aber mit wel- chem Inhalt? In diesem Zusammenhang wird häufig auf unser Grundgesetz Artikel 1, Absatz 1 verwiesen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Im Absatz 2 wird auf die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte hingewiesen: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“. Kant definiert Menschenwürde durch drei Dinge. Erstens heißt Menschenwürde für ihn die Achtung eines jeden anderen, zweitens die Anerkenntnis des Existenzrechts eines jeden anderen und zu guter Letzt: alle Menschen sind gleichwertig. „Toleranz aber und Menschenwürde sind untrennbar miteinander verbunden“ 7 „Soziale Teilhabe am Leben und Austausch mit anderen Menschen“ Die Frage stellt sich, wie wir mit dem Begriff Würde umgehen und ihn in unserem Alltag mit Inhalt und Leben füllen? Würde bedeutet für uns beispielsweise: • jeden Menschen achten und anerkennen • soziale Teilhabe am Leben und Austausch mit anderen Menschen • gemeinsame Projekte umzusetzen und hierdurch das Selbstwertgefühl zu erhalten • stetig als wichtiger Bestandteil der Wohngemeinschaft angesehen zu werden • stetig als „normaler Mensch“ und nicht als Pflegebedürftiger behandelt zu werden • Wünsche zu erfüllen • selbständige Entscheidungen zu treffen • in jedem Alter respektiert und geachtet (gewürdigt) werden • unseren Gesprächspartnern auf gleicher Augenhöhe begegnen Mit den Worten von Richard von Weizsäcker: „Seiner eigenen Würde gibt Ausdruck, wer die Würde anderer Menschen respektiert“. Harry Pokk STIFTUNG ZEIT FÜR MENSCHEN MAGAZIN · 19/2021 In der Satzung der SEINO Stiftung steht unter § 2, Absatz 1: „Zweck der Stiftung ist die gezielte Förderung künstlerisch talentierter Menschen mit psychischen Erkrankungen.“ Für einen Künstler ist das Bedürfnis, sich kreativ ausdrücken zu können, existentiell. Ihm dafür Unterstützung und Hilfe zu gewähren, fördert seine Möglichkeit zum autonomen Handeln. Selbstbe- stimmung und Handlungsfreiheit sind nach I. Kant die Grundlagen der Würde des Menschen. Psychisch Erkrankte benötigen in ihrer Alltagsbewäl- tigung Unterstützung und Hilfe in unterschiedlichem Ausmaß. Für erkrankte Künstler bedeutet dies einen speziellen Hilfebedarf, z. B. durch Bereitstellung der geeigneten Werkstoffe (Farben, Leinwände, Holz etc.), Organisation von Ausstellungen, von Galeriebesuchen, Sicherung der Kunstwerke, Verkauf von Werken und Gespräche über Kunst und Künstler. Für das handelnde Individuum, für die Künstler, kann das Ausleben ihrer Kreativität wie eine Befreiung wir- ken. Befreiung aus einer Stigmatisierung, Befreiung aus einem Zustand des quälenden Selbstzweifels und der Isolation. Für die Gesellschaft ist es eine Bereicherung, eine Chance, die Vielfalt der menschlichen Kreativität vor Augen geführt zu bekommen. Dadurch kann sich Wert- schätzung für anderes und andere entwickeln. Wert- schätzung und Wissen sind Grundlagen für Toleranz. Toleranz aber und Menschenwürde sind untrennbar miteinander verbunden. Klaus Breitenbücher

Der Nächste kann der Kleinste sein Die Ausstellung „Die Kunst der Nächstenliebe“ thematisiert mit ihrer Begleitveranstaltung Bildungschancen und Inklusion als Ausdruck von gelebter Zuwendung 8 N ächstenliebe hat viele Gesichter – das zeigt die im Herbst geplante Ausstellung Die Kunst der Nächstenliebe, die in Münsingen startet und bundesweit ihre Runden zieht. Die Fotos sind dabei das eine was zu sehen ist, das an- dere sind die Auswirkungen gelebter Nächstenliebe, die spürbar sind. Beispielsweise, wenn es bei den stets wiederkehrenden Debatten zur nächsten Schulreform auch mal um die Bedürfnisse von Kindern geht. Foto aus „Die Kunst der Nächstenliebe“ Die Ausstellung startet im Herbst in Münsingen. Genaue Daten ab September unter zeitfuermenschen.de „Wir brauchen Klarheit darüber, was Schulen eigentlich leisten sollen und konkrete Lösungen, wie sie das alles umsetzen können.“ Mit diesen Worten kommentierte die Präsidentin des Bayerischen Lehrer:innenverbandes, Simone Fleischmann die Ergebnisse einer unlängst ver- öffentlichten Allensbach-Untersuchung. Fleischmann fordert eine breite öffentliche Diskussion um den Auf- trag von Schule. In diesem Zusammenhang wird es des- halb als Begleitveranstaltung zur großen Foto-Ausstel- lung im Oktober 2021 einen Fachtag für Lehrer, Eltern und interessierte Schüler geben, bei dem, außer an- deren Schulen, Wutöschinger Lehrer und Schüler ihre Erfahrungen mit den Münsinger Schulen teilen werden. Es wird spannend sein zu hören, wie man heute eine Schule denken kann, welche nicht die eigenen, vergan- genen Bildungserfahrungen hochhält, sondern konse- quent vom Kind und seinen Bedürfnissen her denkt. Die Alemannenschule in Wutöschingen im Südschwarzwald hat 2019 den Deutschen Schulpreis gewonnen. Grund: Die Schulleitung hat die Gelegenheit eines Neubaus ge- nutzt, um eine Schule nach ihrem Konzept zu gestalten und das sogar baulich. Im gesamten Gebäude gibt es beispielsweise keine Klassenzimmer mehr. Schon der preußische Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt (1767–1835) verstand Bildung als „innere Ord- nung“, die dem Individuum auch dann Sicherheit ver- leiht, wenn sich äußere Ordnungen auflösen. Heute würde man von Persönlichkeitsbildung reden, zu der sicher sowohl Wissen, Verstehen als auch ein gesun- des Selbstbewusstsein gehören. Letztendlich geht es darum, sich in der Welt und in seinem Leben gut zu- rechtzufinden.

ZEIT SCHENKEN Seit es in den 70er Jahren einen Aufbruch gab und die Gymnasien auch auf das Land wanderten, ist einiges durcheinandergeraten. „Sich in seinem Leben zurecht- zufinden“ war plötzlich auch mit der Freiheit verbunden, sich aus dem Leben, in das man hineingeboren wurde, herauszubewegen. Chancengleichheit war plötzlich ein Thema. Es war ein Aufbruch in vielen Ländern Europas. Kinder mit einer Behinderung zusammen mit einer Begleitperson in den normalen Unterricht zu setzen und dann Inklusion dazu zu sagen, ist eigentlich ein unglaublicher Vorgang, der keinem Bedürfnis gerecht wird Erstaunlich deshalb, wie wenig sich in Deutschland seit- her bewegt hat. Zwar wurden jede Menge Reformen durchgeführt, dennoch rangiert Deutschland bei der Durchlässigkeit auf den allerletzten Plätzen. Noch immer entscheidet im Unterschied zu anderen Ländern nicht unwesentlich die Herkunft darüber, ob das Kind eine Chance auf ein Abitur hat. Oder anders herum: wer ein Einser-Abitur macht, muss praktisch Arzt werden. Fast schon schwierig, wer da noch Schreiner werden will. Der kürzlich verstorbene Schweizer Kinderpsychologe Remo Largo zeigte vor Jahren in seinem Buch Das pas- sende Leben auf, wie wichtig es ist, genau auf das Kind zu schauen, welche Begabungen vorhanden sind und es genau darin zu fördern. Gleiches geschieht mit Kindern mit einer Behinde- rung. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Kinder mit Downsyndrom in Förderschulen und dann in eine Werkstatt gesteckt, heute machen sie Abitur. Die Insti- tute für inklusive Bildung haben gezeigt, dass Menschen aus der Werkstatt als Bildungsfachkräfte für Inklusion an die Uni wechseln können. Kinder mit einer Behin- derung zusammen mit einer Begleitperson in den nor- malen Unterricht zu setzen und dann Inklusion dazu zu sagen, ist eigentlich ein unglaublicher Vorgang, der keinem Bedürfnis gerecht wird. Nun gibt es in Deutschland weit über 50 Schulen aller Schularten im bestehenden Schulsystem, welche be- schlossen haben, einen anderen Weg zu gehen. Sie ge- hen konsequent vom Kind aus und stellen den Schulbe- trieb individuell darauf ein. Sie sind keine Privatschulen, brauchen nicht mehr Lehrkräfte und auch nicht mehr Geld. Und sie integrieren selbstverständlich Kinder mit einer Behinderung. ■ RG 9 Porträt der Schule in der ZDF-Mediathek zdf.de/gesellschaft/planb/planbwaldwlan100.html Begleitveranstaltung voraussichtlich am Freitag, 22.10.21 von 15.00 bis 19.00 Uhr in Münsingen. Genaue Daten ab September unter zeitfuermenschen.de alemannenschule-wutoeschingen.de schule-im-aufbruch.de STIFTUNG ZEIT FÜR MENSCHEN MAGAZIN · 19/2021

Unsere Stiftungsfamilie bewegt 10 Wechsel in der Geschäftsführung Nach zehn Jahren in der Leitung der Abteilung Kommunikation und Gesellschaft der Samariter- stiftung, zu der die Geschäftsführung der Stiftung ZEIT FÜR MENSCHEN gehört, wechselt Reinhard Gradmann zum Sommer in den Ruhestand. Er ist seit Gründung der Stiftung nach Otto Haug der zweite Geschäftsführer der Stiftung. Die Nachfolge übernimmt Andreas Schlegel, seit acht Jahren in der Abteilung für die Quartiersarbeit verantwortlich. Nach den ersten turbulenten Jahren des Aufbaus der Stiftung mit Gründung von sechs dezentralen Tochterstiftungen durch Otto Haug, war es Aufgabe von Gradmann, die Arbeit der Stiftungen zu ver- stetigen, einen Generationswechsel vorzubereiten und die Arbeit der Stiftungen im Hinblick auf das kommende Jahrzehnt zu schärfen. Die Gründung der Feuerbacher Stiftung mit dem Schwerpunkt Quartiersarbeit und der Aalener Hospizstiftung fielen in seine Amtszeit. Mit gut 500.000 € Fördergeldern konnte in den zehn Jahren vielen Menschen Zeit und Nähe geschenkt werden, Material für praktische Hilfen, Begegnung mit Humor, Schafen und Hunden und für viele Spielgeräte bereitgestellt werden. Aber auch Jugendliche haben profitiert, zuletzt durch praktische Workshops für den guten Umgang mit erstem eigenen Geld und Daten. Wichtig war Gradmann aber auch die Einmischung der Stiftung in gesellschaftliche Fragen und damit ihrer Profilierung in der Öffentlichkeit. Der Kirchberger Dialog, eine Tagung für Führungskräfte der Wirtschaft und Sozialwirtschaft, hat sich zu einer hervorragenden Plattform der Begegnung entwickelt. Die Werkstattgespräche und das Forum Zivilgesellschaft haben fundiert über Themen wie „Gemeinwohlökonomie“, „Grundeinkommen“ und „Grundlagen des demokratischen Diskurses“ informiert. Im Zentrum der Themen standen immer wieder Fragen zur psychischen Erkrankung und zur Demenz, viele Menschen haben die Informationen dankbar angenommen. Aufgabe von Andreas Schlegel und seinem Team wird nun sein, die Stiftungen noch besser in den Quartieren zu verankern und mit einer neuen Generation von freiwillig Engagierten in die Zukunft zu führen. Zukunftsfähig sein in Leonberg Seit 14 Jahren unterstützt die Leonberger Stiftung die Häuser der Samariterstiftung in Leonberg und Höfingen. Neu ist seit einem Jahr das Samariter stift am Rathaus. Dazu entstanden um die Häuser zwei Quartiere am Blosenberg und am Rathaus. Unterstützt durch Linda Haug als Quartiersmanagerin fanden neue Engagierte Zeit für Menschen, die Stadt Leonberg unterstützt die Arbeit. Der Sprecherkreis der Leonberger Stiftung hat sich nun vorgenommen, die Aufgabe und Ausrichtung der Stiftung für die nächsten zehn Jahre genau anzuschauen. Was ist heute hilfreich? Was brauchen die Menschen mit Unterstützungsbedarf in Leonberg? Wie kann das Zusammenleben gefördert werden?

ZEIT FÜR MENSCHEN Wechsel in der Pfullinger Stiftung Nach 10 Jahren in der Leitung haben sich die Gründungsstifter Cornelia Schad, Hartmut Seeger und Harri Jubke im Oktober aus dem Sprecherkreis verabschiedet. Nicht ohne für würdige jüngere Nachfolger:innen zu sorgen: neben Harry Pokk haben nun Bärbel Müller, Martina Roth und Dr. Klaus Adam die Leitung übernommen. Ein gelungener Generationenwechsel! Trotz Pandemie eine gute Bilanz Bis zur Mitte des letzten Jahres hatten wir noch befürchtet, dass das Spendenaufkommen 2020 gering ausfallen würde. Die Unsicherheit durch Pandemie, Kurzarbeit u.v.m. war doch sehr groß. Zum Ende des Jahres waren dann aber doch über 102.000 € an Spenden und Zustiftungen eingegangen! So konnten rund 50.000 € an Zuschüssen ausge schüttet werden, in diesem Jahr natürlich für viele Projekte, die auf die Auswirkungen der Pandemie bezogen waren. Der Jahresabschluss weist einen Kapitalstand von rund 840.000 € aus, das sind rund 30.000 € mehr als im Vorjahr. So können die Stiftungen mit neuem Elan die Ideen und Wünsche in der Zeit nach der Pandemie verwirklichen. 11 Umbenennung und Aufbruch der Münsinger Alb Stiftung Die Münsinger Alb bekommt ein neues Hospiz! Nahe dem Stadtzentrum von Münsingen baut die Samariterstiftung ein Haus mit acht Plätzen (siehe Zeichnung unten). Zeit für Menschen – für die Stifter der Münsinger Alb Stiftung war es keine Frage, dass sie sich auch für die Menschen im Hospiz zuständig fühlen. Um das auch bereits im Namen deutlich zu machen, wurde einstimmig die Umbenennung der Stiftung in die MÜNSINGER ALB UND HOSPIZ STIFTUNG – Zeit für Menschen beschlossen. Zugleich wurde der Sprecherkreis um drei, zu nächst beratende, Mitglieder erweitert. Rebecca Hummel ist bei der Stadt Münsingen u.a. die Inklusionsbeauf- trag te, Friedrich Bisinger, ehe maliger Bürgermeister, hat seit langem für das Hospiz geworben und Salomo Strauß ist Diakoniepfarrer im Bezirk Münsingen. Zum 1. März hat die bisherige Referentin für ehren amtliches Engagement in der Zentrale der Samariterstiftung Gabriele Blum-Eisenhardt in Münsingen die Leitung für ein Referenzprojekt übernommen, in dem das ehrenamtliche Engagement in Münsingen zusammengeführt und verstärkt werden wird. Behindertenhilfe, Hospiz, Altenpflege und Quartier werden zusammengedacht und geplant. Nun wird das schon bestehende Netzwerk weiter ausgebaut und der heutigen Zeit angepasst. STIFTUNG ZEIT FÜR MENSCHEN MAGAZIN · 19/2021 www.zeit-fuer-menschen.de ■ RED

IMPRESSUM Herausgeber: Samariterstiftung Schlossweg 1 | 72622 Nürtingen Telefon 07022 / 505200 www.samariterstiftung.de www.zeitfuermenschen.de V.i.S.d.P: Frank Wößner, Vorstandsvorsitzender Redaktionsleitung: Sabine von Varendorff (svv) EMail: sabine.vonvarendorff@ samariterstiftung.de Weiterer Autor: Reinhard Gradmann (rg) Telefon Redaktion: 07022 / 505204 Design und Realisierung: enorm.design Druck und Verarbeitung: Senner Medien Erscheinungsweise: 2 x jährlich Artikel im magazin geben nicht immer die Meinung der Redaktion wieder. Für unverlangt eingesandte Artikel, Fotos u. ä. wird keine Haftung übernommen. Rechte Die im magazin veröffentlichten Beiträge, Fotos, Grafiken u. Ä. sind urheberrecht lich geschützt. Die Reproduktion, ganz oder in Teilen, durch Nachdruck, foto technische Vervielfältigung oder durch andere Verfahren sowie das Einspeisen in elektronische Systeme bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Redaktion. Bildnachweise magazin SAMARITERSTIFTUNG: Archiv Samariterstiftung (18, 31), Max G. Bailly (17), iStock.com/AndyL (12), iStock.com/anela (Titel), iStock.com/ Christian Horz (26, 28), iStock.com/ horstgerlach (22), iStock.com/ IvanJekic (11), iStock.com/pearleye (2), Julia Martin/Abtei Münsterschwarzach (2, 6), Natus Europe GmbH (13), Samariter stiftung/Grün (14, 15), SONG/privat (8), tristan vankann/ fotoetage (24, 25), Marin van Rotten (2, 27), von Varendorff (4, 16, 18, 19, 21, 23, 31), www.geraldhuether.de (2, 28). magazin STIFTUNG ZEIT FÜR MENSCHEN: Archiv Samariterstiftung (10), iStock.com/PhenomArtlover (Titel), iStock.com/Tetiana Garkusha (9), Hartmaier + Partner, Freie Archi tekten (11), Gerhard Röper (8), von Varendorff (12) Wir bleiben dran am Rekord KnopfaktionFeier muss wegen Corona dritte Runde drehen E igentlich hätte am Samstag, 2. Oktober 2021, der Rekord in Hö fingen gefeiert werden sollen. 160.000 Knöpfe sind bislang ver- näht, mehr als 15 Kilometer Bän- der bestückt – und zwar nicht nur mit Knöpfen, sondern auch mit Sprüchen und Muntermachern zu Corona und anderen „Bremsen“ in Pandemie-Zeiten. Ausgebremst ist auch die Höfinger Feier selbst – allerdings nur für diesen Herbst. Im kommenden Frühjahr soll dann endlich groß, ausgiebig und vor allem mit den Höfinger Bürger:innen gefeiert werden. „Wir verknü(ö)pfen uns“ lautet das Motto, und das soll auch gelebt werden. Damit die Wartezeit bis dahin nicht gar so lang wird, ist für den 2. Oktober in diesem Jahr ein abwechslungs reiches, span- nendes Online-Format in Sachen „Knöpfe“ in Planung – auf allen Ka- nälen der Samariter stiftung wird rechtzeitig darüber informiert werden, sobald es steht. Wer jetzt schon die Aktion unterstützen will: • Es fehlt Baumwollbettwäsche, um weitere Bänder für das Aufnähen der Knöpfe zuzu- schneiden. • Auch Knöpfe sind langsam Mangelware – es darf gespen- det werden. In den Häusern der Stiftung stehen Sammelboxen dafür bereit. Fragen und Kontakt knoepfe@samariterstiftung.de Goldäckerstraße 1 71229 Leonberg-Höfingen

Spenden Sie einfach wie Sie wollen! Sie können Ihren Beitrag entweder herkömmlich per SEPA-Zahlschein an uns überweisen (das Formular erhalten Sie bei Ihrer Bank). Oder nutzen Sie unser Online-Fomular: samariterstiftung.de/spende Spendenkonten Samariterstiftung IBAN DE50 6005 0101 0001 1008 82 BIC SOLADEST600 BW Bank Stiftung ZEIT FÜR MENSCHEN IBAN DE67 6005 0101 0008 6692 92 BIC SOLADEST600 BW Bank Fragen und Anregungen Wenden Sie sich bitte an Andreas Schlegel, Spendenmarketing E-MAIL andreas.schlegel@ samariterstiftung.de TELEFON 07022/505-268 13 IHRE SPENDE HILFT – SCHNELL UND DIREKT Die Mitarbeiter:innen der Samariterstiftung begleiten und betreuen Menschen im Alter, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit psychischen Erkrankungen in mehr als 60 Häusern. Die Stiftung ZEIT FÜR MENSCHEN fördert bürgerschaftliches Engagement und stärkt die Zivilgesellschaft in einem Bündnis für Gemeinwohl und Menschenwürde. Unterstützen Sie unsere Arbeit im sozialen und gesellschaftlichen Bereich durch Ihre einmalige oder dauerhafte Spende für eine unserer beiden Stiftungen. Sie können sicher sein: Ihre Spende wird zu 100 % für die jeweiligen Projekte oder Häuser, die Sie unter- stützen möchten, eingesetzt. Die Kosten für die Verwaltung Ihrer Spende decken wir aus Eigenmitteln. Ihre Spende zugunsten der Samariterstiftung unterstützt eines unserer Häuser. Bitte tragen Sie daher den Namen des betreffenden Hauses unter dem Verwendungszweck auf dem Zahlschein ein. Ihre Spende zugunsten der Stiftung ZEIT FÜR MENSCHEN unterstützt die Begegnung zwischen Jung und Alt, die Begegnung von Menschen mit/ohne Behinderung und gemeinsame Projekte im Quartier. Wollen Sie eine Tochterstiftung bedenken, tragen Sie bitte deren Namen unter dem Verwendungszweck auf dem Zahlschein ein. Für dauerhafte Spenden richten Sie bitte einfach einen Dauerauftrag bei Ihrer Bank mit Ihrem regel- mäßigen Spendenbetrag ein. Selbstverständlich erhalten Sie eine Spenden- quittung. Geben Sie daher auf dem Zahlschein bitte auch Ihre Adresse an, damit wir Ihnen Ihre Zuwendungsbestätigung zusenden können. Vielen Dank für Ihre Unterstützung! STIFTUNG ZEIT FÜR MENSCHEN MAGAZIN · 19/2021